Not–wendig: aus Erfahrung lernen
Ein Appell für einen neuen Anfang in der Energiepolitik
Für viele Menschen ist das Unglück im Kernkraftwerk Fukushima I nach dem schweren Erdbeben und nachfolgendem Tsunami die erste große Atomkatastrophe in ihrem Leben. Für andere ist es nur das zweite oder gar dritte große Unglück in einem Kernkraftwerk in ihrer Lebensspanne, das sie bewusst wahrnehmen. In Three Mile Island (Harrisburg, USA, 28. März 1979) war es eine Kombination aus Fehlfunktionen der Anlage, Konstruktionsmängeln und menschlichem Versagen. In Tschernobyl (Ukraine, 25. April 1986) führte dann eine Fehlbedienung der Anlage zu den Schäden. Aber von den meisten Menschen wurde die Technik für weiterhin beherrschbar gehalten, sofern es nur gelänge, sie richtig zu bauen und zu betreiben.
Im Vergleich dazu hat Fukushima eine neue Dimension erreicht. Japanische Kernkraft werke galten als die sichersten der Welt, weil sie aufgrund der Lage in besonders erdbebengefährdeten Gebieten besonders hohen Sicherheitsanforderungen genügen sollten. Diesmal war die primäre Ursache für das Unglück nicht falsche Konstruktion oder falsche Bedienung, sondern ein Erdbeben der Stärke 9.0 mit einer Tsunami-Welle von mehr als 20 Metern. Für diese Naturereignisse ist das Kraftwerk nicht ausgelegt und darum auch nicht gebaut worden. Bei Planung, Genehmigung und Bau war eine Naturkatastrophe dieser Größenordnung nicht vorstellbar gewesen. Daher ist diese Dimension auch nicht Bestandteil bei der Auslegung des Kraftwerks gewesen.
Die Risiken der Technik müssen wir neu erkennen und neu bewerten
In Japan waren das Erbeben und die nachfolgende Welle größer als alle jemals vorher gemessenen Erdbeben. Die Möglichkeit, dass ein solches Ereignis eintritt, wurde für zu unwahrscheinlich gehalten und darum auch nicht berücksichtigt. Aber wenn ein möglicher Schaden sehr groß ist, dann muss auch ein sehr kleines Risiko berücksichtigt werden.
Wenn wir bei Atomkraft werken mit einer Wahrscheinlichkeit für ein nukleares Unglück von einmal in 100.000 Jahren oder auch einmal in 36.500.000 Tagen sprechen, dann ist dies die 2500fache Zeitspanne der erwarteten Betriebsdauer von 40 Jahren. Das sieht zunächst harmlos aus. Wenn das Ereignis aber doch eintritt, sind die Folgen entsprechend gigantisch und nicht übersehbar.
Doch mit dem Ende des Reaktorbetriebs ist bei der Kernenergie die gefährlichste Zeit nicht zu Ende. Es folgt noch die Zeit des Ruückbaus des Kraftwerks und der (End-)Lagerung des strahlenden Materials.
Bei den Entscheidungen pro Kernenergie wird das Risiko als beherrschbar und der Störfall als unwahrscheinlich angesehen. »Warum sollte dieses Ereignis jemals eintreten?« ist immer wieder zu hören. Die mahnenden Stimmen werden überhört und als fortschrittsfeindlich abgetan. Doch in den letzten Jahrzehnten ist dieser Ernstfall mehrfach eingetreten. Die Annahmen über die Größe von Erdbeben und eines Tsunami, aber auch die Einschätzungen über die Häufigkeit solcher Ereignisse, haben sich als falsch erwiesen.
Und wenn jetzt davon gesprochen wird, dass eine Neubewertung der Risiken vorgenommen werden muss und darum die Bundesregierung ein Moratorium verkündet, dann werden im besten Falle neue Annahmen über die Größe von Ereignissen und die Möglichkeit des Eintritts getroffen.
Dieses Neubewerten darf nicht nur eine technische Überprüfung der alten Konzepte und technischen Unterlagen sein, sondern die Grundlagen für die Auslegung der Sicherheitssysteme sind zu überprüfen: Welches Erdbeben, welcher Flugzeugabsturz, welcher Angriff auf ein Kraft werk ist denkbar? Werden sich die Risiken in Zukunft verändern? Welche Risikofaktoren sind bisher nicht in der Bewertung berücksichtigt worden?
Vor dem 11. September 2001 war es undenkbar, dass ein großes Verkehrsflugzeug mit Absicht auf ein Kraftwerk gerichtet werden könnte. Bis dahin hatte man es nur für denkbar gehalten, dass ein Kampflugzeug in einem Krieg über einem Atomkraft werk abstürzen könne, aber selbst für diesen Fall sind in Deutschland nicht alle Meiler ausgelegt.
Die Sicherheitssysteme sind nur für einen Teil der denkbaren Risiken ausgelegt. Wenn ein Unglück eintritt, ist der Schaden katastrophal groß und nicht beherrschbar. Eine Nachrüstung auf solche veränderten »Auslegungsstörfälle« ist technisch nur mit großem finanziellen Aufwand oder auch gar nicht möglich. Absolute Sicherheit kann und wird es im Zusammenhang mit Atomenergie niemals geben. Es bleiben immer Situationen denkbar, die nicht beherrschbar sind, wenn auch die Wahrscheinlichkeit des Eintritts sehr gering ist.
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass in Deutschland nun der Zeitpunkt des Umdenkens gekommen ist und ein Ausstieg aus der Kernenergie erfolgen wird.
Wenn dann aber Strom aus französischen oder belgischen Kernkraft werken gekauft wird, vermindert dies das Risiko nicht unbedingt. Die Kernenergie gilt in Ländern wie China, Indien und Indonesien als zukunftsträchtig und alternativlos, um den riesigen Energiebedarf dieser aufstrebenden Volkswirtschaften zu decken. Dies bleiben trotzdem Investitionen in Hochrisikoprojekte.
Auch das immer wieder angeführte Argument, dass mit dem Verzicht auf Kernenergie die Technologiestandorte gefährdet sind, ist so nicht richtig. Durch die Entwicklungen bei den erneuerbaren Energien ergeben sich neue Herausforderungen an Techniker und Ingenieure, denn auch hier sind Ideenreichtum und neue Lösungen gefragt. Die vorhandenen Alternativen müssen nun entwickelt und umgesetzt werden. Nicht die Höhe, sondern die Qualität des Energieverbrauchs kann und darf die Lebensqualität bestimmen.
Lassen Sie uns als Christen neu über unseren Umgang mit Risiken nachdenken und verantwortliche Entscheidungen umsetzen.
Lebensstil und Energieverbrauch benötigen ein Umdenken
Wir müssen diese Chance des Umdenkens nun nutzen und unseren Beitrag leisten. Wir brauchen einen Lebensstil, der einen sparsamen und effizienten Umgang mit Energie und natürlichen Ressourcen bedeutet. Geringer Verbrauch bedeutet nicht zwangsläufig geringere Lebensqualität.
Wir müssen bei unseren Entscheidungen über verschiedene Arten der Energieerzeugung auch ihre Auswirkungen berüksichtigen: Vermehrte Kohlenutzung wüde eine größere CO2-Produktion mit Folgen für das Klima bedeuten und ist darum keine Lösung. Bei der landwirtschaftlichen Flächennutzung stehen die Erzeugung von Lebensmitteln, Futtermitteln, Rohstoffen (Fasern, Öle, Fette) und Energie (Biokraftstoff) in Konkurrenz zueinander. Dieses darf nicht zu ungerechten Strukturen in der Landnutzung und Verlust von Menschenrechten, Lebensräumen und Artenvielfalt führen.
Es geht darum, dass wir als Christen die ganze Erde und die ganze Schöpfung in den Blick nehmen und unserem Auftrag Gottes, die Erde zu bebauen und bewahren, gerecht werden.
Wir müssen uns zusammen mit allen unseren Partnern auf der Welt auf den Weg zu einem neuem Umgang mit Energie, Rohstoffen und Nahrungsmitteln machen. Hier ist nicht nur die Art der Energieerzeugung wichtig, sondern auch der verantwortungsbewusste, sparsame Umgang mit zur Verfügung stehenden Ressourcen.